Als Journalist im Exil

 

Georgii Chementirov, 39 Jahre, ist Exiljournalist aus Russland. Er arbeitet und lebt gemeinsam mit seiner Familie seit knapp drei Jahren in Kirkenes.  Damit gehört er zu den etwa 1500 russischen Journalist*innen, die ihr Heimatland nach der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022 verlassen haben.

 

„Viele Russen flohen nach Beginn des Krieges, da sie Angst hatten, selbst an die Front zu müssen“, erklärt Chementirov in einem Gespräch in Kirkenes. Für ihn war nicht die Mobilisierung der entscheidende Grund, das Land zu verlassen. „Ich habe als Journalist gegen das Regime Putin gearbeitet.“ In Russland war und ist es verboten, den Überfall auf die Ukraine und die Besetzung von Teilen des Landes „Krieg“ zu nennen. Außerdem sollten Journalist*innen nur staatliche Quellen für ihre Recherchen nutzen. „Wie sollte ich als Journalist weiterarbeiten?“, fragt Georgii Chementirov. Erschwerend kam hinzu, dass er zu Kriegsbeginn Vorsitzender der Journalisten-Gewerkschaft in Karelien war. „Wir waren unabhängig und wollten uns nicht von der zentralen Gewerkschaft vereinnahmen lassen.“

 

„Ich habe Familie, ich habe Kinder, ich wollte nicht ins Gefängnis. Ich habe gesehen, welche Propaganda bereits in Kindergärten und Schulen ausgeübt wurde.“ Also begann er darüber nachzudenken, seine Heimat zu verlassen.

 

Chementirov bewarb sich als Exiljournalist bei dem Onlinemedium „The Barents Observer“ mit Sitz in Kirkenes und wurde angenommen. Er denkt an die vielen Journalistinnen und Journalisten, die noch im Land arbeiten. „Viele machen einen hervorragenden und wichtigen Job, aber es ist gefährlich für sie“, erklärt er etwa zehn Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Er stammt aus der historischen Landschaft Karelien, die seit dem Zweiten Weltkrieg durch die Grenze zwischen Finnland und Russland geteilt ist.  Seine Heimatstadt Petrosawodsk liegt etwa 400 Kilometer nordöstlich von Sankt Petersburg und 1000 Kilometer südlich vom Kirkenes.

 

Doch der russische Machtapparat lässt ihn auch im sicheren Norwegen nicht in Ruhe. Im März 2023 wurde er vom russischen Staat als „Ausländischer Agent“ eingestuft. „Traditionell werden jeden Freitagabend die Namen der Organisationen und Personen veröffentlicht, die neu in diese Kategorie fallen“, erklärt er. „Wir feierten gerade den Geburtstag meiner Frau“, erinnert er sich an den Moment, als er sich auf der Liste fand.  Er schätzt, dass mittlerweile 700 Personen und Organisationen betroffen sind. „Die Liste mit Verboten für diese Personengruppe wird ständig länger, so dass ein normales Leben für diese Menschen in Russland nicht mehr möglich ist.“ 

 

„Aber auch für mich im Exil erschwert es die Arbeit. Meine Kontaktpersonen in Russland überlegen es sich zweimal, ob sie mir als „foreign agent“ ein Interview geben.“  Seit Februar dieses Jahres steht „The Barents Observer“, also das Medium, für das er In Norwegen arbeitet, auf der Liste der „Unerwünschten ausländischen Organisationen“. Laut Wikipedia waren Stand 5. Juni 2025 232 ausländische und internationale Nichtregierungsorganisationen und Medien betroffen. Und es werden jeden Tag mehr. Für den Journalisten in Kirkenes bedeutet das, dass er von seinen Informationsquellen abgeschnitten ist. „Wir haben Hunderte von Interviews mit Menschen in Russland geführt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Das machen wir jetzt nicht mehr. Es wäre für die Menschen zu gefährlich.“ Die Arbeit werde von Tag zu Tag schwieriger. „Sie finden immer neue Möglichkeiten, unsere Arbeit einzuschränken.“

 

Chementirov versucht zu erklären, was es bedeutet, als Journalist im Exil zu leben und zu arbeiten. „Es heißt nicht, Du verlässt dein Land und alles ist gut. NEIN. Wir haben im westlichen Ausland ein sicheres Leben, aber der mentale Druck auf uns Journalisten ist groß. „Sie können mich jederzeit anklagen. Ich habe Putin kritisiert, habe über den Krieg, seine wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die Kriegsverbrechen und vieles mehr geschrieben. Das ist alles verboten.”

 

Der Journalist denkt an seine Eltern in Karelien. „Was würde mit ihnen passieren, wenn ich angeklagt werde?“ Dann schweigt er für einen Moment und schaut nervös aus dem Fenster. Er weiß, dass seine Eltern seine politische Haltung teilen. „Für meine Mutter ist es schwierig. Sie hätte ihre Familie doch gerne bei sich.“

 

Währenddessen lebt er in Norwegen, kann seine Eltern nicht besuchen – zum Glück können sie nach Norwegen kommen – und versucht sowohl die Menschen in Russland mit Informationen zu versorgen als auch der Welt einen Einblick in das russische System zu geben. „Mir ist bewusst, dass meine Artikel die Welt nicht verändern, aber es ist wichtig, dass die Leute wissen, was los ist.  Sinn und Zweck seiner Arbeit sei es, Informationen und Wahrheiten zu verbreiten. Immer wieder erhalte er Rückmeldungen aus Russland, dass die Botschaften noch durchdringen und seine Beiträge gelesen werden, obwohl „The Barents Observer“ in Russland geblockt ist.

 

Welche Hoffnungen hat er für sein Land? Michail Gorbatschow, Staatspräsident der Sowjetunion von März 1990 bis Dezember 1991, ist für ihn ein Zeichen, dass es doch möglich ist, aus dem korrupten und grauenhaften System auszubrechen und etwas zu verändern. „Gorbatschows Ideen waren gut, aber wie es gelaufen ist, war schlecht“, bringt er es auf den Punkt. „Nicht nur Putin ist das Problem, sondern das ganze korrupte System – von der Armee über die Legislative bis hin zur Politik und Propaganda.“ Es fällt ihm schwer, sich vorzustellen, wie sich Russland in absehbarer Zeit ohne Blutvergießen ändern könnte. Klar ist für ihn aber: „Russland muss den Krieg verlieren und die Ukraine gewinnen.“

 

Chementirov ist froh, dass er in seinem Beruf arbeiten kann. Für seine Frau ist es schwieriger. Ihr russischer Abschluss als Ärztin wird in Norwegen nicht anerkannt. Deshalb arbeitet sie im Kindergarten. Auch seinen beiden Kindern fällt es nicht immer leicht, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden. „Ich bin der Grund, warum wir unsere Heimat verlassen haben“, gibt er zu bedenken. Aber Norwegen ist ein gutes Land zum Leben. Der Winter in Kirkenes könnte etwas kürzer sein, aber er kann arbeiten – als Journalist.