Radroute auf den Spuren der Teilung Europas

Michael Cramer ist Initiator des Iron Curtain Trails. In den letzten 20 Jahren hat er gemeinsam mit Fahrradenthusiasten aus verschiedenen europäischen Ländern die 10.000 Kilometer lange Strecke von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer entwickelt. Kennengelernt haben wir uns in Harbke, Sachsen-Anhalt, im letzten Sommer, als er anlässlich des Jahrestages des Mauerbaus einen Vortrag hielt. Jetzt verabredeten wir uns zu einem Online-Meeting zwischen Berlin und Kirkenes.

 

 

Alles begann bei Michael Cramer mit dem Berliner Mauerradweg. „Zum ersten Mal bin ich die etwa 160 Kilometer rund um West-Berlin im Sommer 1989, also noch vor der Grenzöffnung, auf dem Zollweg der Alliierten mit dem Fahrrad gefahren”, erinnert sich Cramer. Er lebte seit Mitte der 1970er Jahre in Berlin und war zunächst als Lehrer und dann als Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus und im Europarlament tätig. Wenige Monate nach der Grenzöffnung fuhr der Fahrradaktivist auf dem Kolonnenweg rund um West-Berlin. „Der Kolonnenweg war in Berlin asphaltiert und bestand nicht wie an der innerdeutschen Grenze aus Lochbetonplatten. Man konnte also gut radeln.“ Schon damals hatte er die Idee eines Berliner Mauer-Radwegs. Es dauerte allerdings noch zehn Jahre, bis dieses Herzensprojekt Realität wurde.

 

Als Mitglied des EU-Parlaments dachte der heute 75-Jährige jedoch weit über Berlin und Deutschland hinaus. „Nicht nur Berlin und Deutschland waren gespalten, ganz Europa war geteilt.“ Mit diesem Argument leistete er im Europäischen Parlament viel Überzeugungsarbeit für diese Initiative. Im Jahr 2005 war es schließlich so weit: Das Europäische Parlament befürwortete das Projekt. Noch heute ist er stolz, dass das mit großer Mehrheit aus allen Ländern und von allen Fraktionen passierte.

 

Michael Cramer war erstmals 2005 auf dem Iron Curtain Trail unterwegs. Teilweise begleiteten ihn Freunde oder andere Fahrradenthusiasten aus den jeweiligen Ländern. Gemeinsam haben sie die Streckenführung ausgearbeitet. Das Ziel war, so nah wie möglich am ehemaligen Eisernen Vorhang zu radeln und die Grenze möglichst oft zu queren ; auf der anderen Seite sollte die Strecke aber auch gut mit dem Fahrrad zu bewältigen sein. Außerdem sollten wichtige historische und kulturelle Orte an der Strecke liegen. „Es war ein großes Gemeinschaftswerk von vielen engagierten Menschen aus ganz Europa.“ Cramer ist nicht nur den kompletten Iron Curtain Trail in vielen Teiletappen über mehrere Jahre hinweg in seinem Urlaub selbst geradelt, er hat auch mehrere Radtourenbücher veröffentlicht: über den Berliner Mauer-Radweg, den Deutsch-Deutschen Radweg und den gesamten Iron Curtain Trail zunächst in drei, später in fünf Bänden. Als großen Erfolg für das Projekt bezeichnet Cramer die Aufnahme der Strecke als EuroVelo-Route 13.

 

Michael Cramer war 2019 zum letzten Mal auf dem Iron Curtain Trail in Finnland unterwegs. „Dabei traf ich auf ein Ehepaar aus Australien, die diese Strecke abradelten, um mehr über die Geschichte der Teilung Europas zu erfahren. Das hat mich natürlich sehr gefreut.“ Seine geführten Fahrradtouren „Mauerstreifzüge” auf dem Berliner Mauer-Radweg bietet er seit 2001 regelmäßig in den Sommermonaten an.

 

Er wünscht sich, dass der Iron Curtain Trail durchgängig ausgeschildert wird. „Dadurch würde er noch mehr Aufmerksamkeit erlangen und mehr Menschen würden sich mit der Nachkriegsgeschichte auseinandersetzen.“ Man müsse Erinnerung sichtbar machen, so Cramer. Nur so könne sich eine gemeinsame Geschichtsbetrachtung über Ländergrenzen hinweg entwickeln.