Ich übernachte auf der Porotila Toini Sanila in Sevettijärvi, etwa 15 Kilometer südlich der finnisch-norwegischen Grenze. Ich habe diese Adresse gewählt, um etwas über Rentiere und die Haltung von Rentieren zu erfahren. „Porotila“ ist das finnische Wort für Rentierfarm.
Es ist ein idyllischer Ort, etwa einen Kilometer abseits der Hauptstraße. Die Farm liegt direkt an einem See. Ein paar kleine Holzhäuschen gruppieren sich im Wald. Ich werde freundlich empfangen und gleich zum Abendessen eingeladen. Am großen Tisch versammeln sich wenige Gäste (es ist noch keine Hochsaison), aber viele Familienmitglieder und Freunde. „Das Zusammensein ist Teil unserer Kultur“, erklärt Miina, die Tochter der Chefin Toini. Mir wird schnell klar, dass ich am Tisch einer traditionellen Samen-Familie sitze. Eigentlich hatte ich geplant, zuerst das Sámi-Museum in Inari zu besuchen, um etwas über die Kultur zu lernen, bevor ich versuche, Kontakt zu einer samischen Person oder Familie aufzunehmen. Nun bin ich völlig unvorbereitet. Rentiere sind an diesem Abend kein Thema, denn die Porotila gibt es schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr. Der Name ist geblieben.
Ich sitze mit vielen interessanten Menschen am Tisch, genieße die Gastfreundschaft und erhalte eine lebendige Einführung in die Kultur der Samen. Ich befinde mich im Gebiet der Skolt-Samen, einem Volk, das ursprünglich am Arktischen Ozean in der Region Petsamo im heutigen Russland lebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Skolt-Samen ihre Heimat verlassen, da Finnland das Gebiet an die Sowjetunion abtreten musste. In Finnland wurden sie in dem Dorf Sevettijärvi in der Gemeinde Inari neu angesiedelt. Sevettijärvi ist ein 60 Kilometer langes Straßendorf und die größte Siedlung der Skolt-Samen. In der Gemeinde leben etwa 350 Einwohner, davon gehören 150 bis 200 zur Sami-Community. „Wir sind aber eine Dorfgemeinschaft“, erklärt Toini. In einer so dünn besiedelten Gegend müsse man zusammenhalten.
Neben den Skolt-Samenen gibt es in Finnland noch die Inari-Samen und die Nord-Samen. Miina erzählt, dass sie zwei samische Kulturen kennt, da ihr Vater Skolt-Same und ihr Stiefvater Inari-Same war. Ihre Mutter Toini ergänzt, dass sie aus Südfinnland aus einer nichtsamischen Familie stammt. Durch Heirat, Leben und Arbeit hat sie die samische Kultur und Lebensweise kennengelernt und ist somit Mitglied des indigenen Volkes geworden. Dann erzählt Toini, warum es die traditionelle Rentierfarm nicht mehr gibt. Ihr Mann starb, als sie mit ihrer dritten Tochter schwanger war. Wie hätte sie es schaffen sollen, sich um drei Kinder und 500 Rentiere zu kümmern? Sie erhielt damals große Unterstützung von ihrer Familie und den Nachbarn. Trotzdem reduzierte sie die Herde kontinuierlich. Parallel dazu baute sie seit den 1990er Jahren langsam einen Tourismusbetrieb auf. Sie erzählt, dass immer viele Menschen zum Helfen auf der Porotila waren. Diese brachten Freunde mit und alle fühlten sich wohl. Das sprach sich herum und die ersten Gäste kamen. „Am Anfang haben wir im gleichen Raum gegessen und geschlafen. Nach dem Essen wurden die Tische beiseitegeräumt und Matratzen verteilt“, erzählt Toini. Noch heute bekommt sie Post von Menschen aus aller Welt, die diese herzliche Aufnahme im hohen Norden Finnlands erlebt haben. Ihre Tochter ergänzt: „Es ist Toinis Gastfreundschaft, die die Menschen zusammenbringt.“
Mittlerweile wurden viele ehemalige Wirtschaftsgebäude zu Gästezimmern umgebaut. Im Hauptgebäude befindet sich ein gemütlicher Gastraum für etwa 50 Personen. Auf den Tisch kommt überwiegend, was die Region bietet: von Rentierprodukten über Fisch bis hin zu Blaubeeren.
Für diese Sommersaison soll ein weiteres Gebäude fertiggestellt werden. Freunde aus Südfinnland sind zum Helfen gekommen. Die Familie stammt ursprünglich aus dieser Gegend und verbringt regelmäßig ihre Ferien hier. „Wir lieben die Natur und diese Ruhe. Hier ist alles so entspannt, selbst die Arbeit passiert ohne Druck“, sagt der Familienvater.
Zu den regelmäßigen Gästen und Helferinnen gehört auch die 17-jährige Maija. „Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen, aber meine Familie stammt ursprünglich aus der Nähe von Petsamo. Ich stamme nicht aus einer samischen Familie, habe aber trotzdem die Sprache gelernt.“ Während es zunächst ihre Eltern waren, die sie dazu motivierten, ist sie heute dankbar, dass sie skoltsamisch spricht. „Mit 15 Jahren fand ich es hier ziemlich langweilig. Ich wollte unbedingt weg und in einer größeren Stadt leben“, erzählt Maija. Mittlerweile besucht sie die weiterführende Schule in Ivalo und lebt bei ihren Großeltern. „Aber ich verbringe so viel Zeit wie möglich hier in Sevettijärvi.“ Auf die Frage, was für sie als junge Frau das Besondere und Reizvolle sei, antwortet sie: „Das Leben ist so friedvoll hier. Ich mag es, mit der Natur zu leben, und ich schätze die reiche Kultur der Samen. Ich vermisse hier nichts.“