„Das Volk der Wald-Sámi ist in Finnland in Vergessenheit geraten“, sagt Samuli Antilla im Museum von Salla. Neben der Kriegsgeschichte wird dort auch die Geschichte der Wald-Sámi thematisiert. „Wir sind eine kleine Minderheit in unserem Land. Selbst die anderen samischen Völker erkennen uns nicht an“, gibt er zu bedenken. Der Hauptgrund: „Wir haben unsere Sprache verloren. Ich weiß aus Erzählungen, dass mein Urururgroßvater Olli Herman, der von 1824 bis 1919 lebte, Sami sprach.“ Das heißt, wir haben unsere Sprache innerhalb von 100 Jahren verloren. „Mit der Sprache gehen aber die Kultur und die Identität nicht verloren.“
Genau darum geht es dem 26-Jährigen, der gemeinsam mit anderen Menschen in Salla und anderen Wald-Sami Regionen daran arbeitet, dass ihre Sprache wiederzufinden. Offiziell nennt sich die Sprache Kemisamisch. Samuli geht davon aus, dass sich etwa 600 Menschen als Wald-Sámi identifizieren.
Samuli nennt mehrere Gründe, warum die Kultur und die Sprache so in Vergessenheit geraten ist. Im 19. Jahrhundert siedelten sich viele Finnen in der waldreichen Region an, da Holz ein wertvoller Rohstoff wurde. Auch die Kirchen haben ihren entscheidenden Beitrag geleistet. Sie bezeichneten die Sprache der Wald- Sámi als Sprache der Hunde. Auch die von Samen häufig praktizierte Naturreligion bekämpften sie. In den Schulen wurde nur Finnisch gelehrt und gesprochen. Und so starben die letzten Menschen, die Waldsamisch sprachen, Anfang des 20. Jahrhunderts. Die folgenden Jahrzehnte waren von Kriegswirren, Flucht, Vertreibung und Evakuierungen in andere Regionen Finnlands geprägt. Die Häuser in Salla brannten zweimal im Krieg vollständig ab und so verschwanden auch die meisten Erinnerungsgegenstände. Die alte Kultur geriet in Vergessenheit. „Aber im Bewusstsein der Menschen ist die Kultur der Wald- Sámi nie ganz verschwunden“, weiß Samuli mittlerweile. Schon in der Generation seiner Eltern gab es wieder Interesse an der Geschichte der Vorfahren. „Aber jetzt ist das Interesse bei der jungen Generation besonders groß.
Samuli versucht zu beschreiben, was seine Identität als Waldsame ausmacht: Es ist die Geschichte meiner Herkunft, meiner Vorfahren und die Kultur in meiner Gemeinschaft. Er beschreibt die Finnen als eine landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft, die versucht die Natur zu kontrollieren. Ein Sumpfgebiet soll in einen Acker umgewandelt werden. Auch ein Wald soll ein Wirtschaftswald werden. „Wir Wald-Sami sehen das anders: Wir müssen die Natur nicht ändern. Wir können mit ihr leben. Ein Wald ist, so wie er ist, gut.“
Die Waldsámi lebten traditionell von Jagd und Fischfang, vom Beerenpflücken und vom Hüten von Rentieren. Obwohl viele Menschen heute ihren Lebensunterhalt mit modernen Einkommensquellen verdienen, gehören die oben genannten Lebensgrundlagen immer noch zum Alltag der Waldsamen. „Allerdings gab es hier nicht so große Rentierherden wie bei den Samen weiter im Norden.“ Samuli vermutet, dass deshalb das Image seines Volkes auch nicht so gut sei.
Bis Samuli nach der Schule in die finnische Universitätsstadt Oulu zog, um IT zu studieren, hatte er sich über seine Kultur gar keine Gedanken gemacht. „Ich wollte weg von Salla und die Welt kennenlernen. Die Großstadt Oulu war ein Schock für mich.“ Mit dem geschäftigen Leben der Menschen, die nie Zeit hatten, konnte er nichts anfangen. „Ich wollte einfach nur sein, am Feuer sitzen und den Wald und die Natur genießen.“ Samuli schreibt gerade seine Masterarbeit zum Thema „Wechselwirkungen zwischen Informationswelten und der samischen Identität nicht-anerkannter Samen“).
Sami-Aktivist verbringt so viel Zeit wie möglich in Salla, seiner Heimat, die Heimat der Wald-Sami. Seit kurzem besitzt er auch eine „mááccuk“, das mantelähnliche Kleidungsstück der Wald-Sami mit regionaltypischen Bordüren und Verzierungen. Er hat es nach alten Fotos schneidern lassen. Gemeinsam mit anderen, die sich selbst als Waldsame identifizieren, kämpft er darum, dass auch die Wald-Sami als Minderheit wie die weiter nördlich lebenden Samen anerkannt zu werden. Allerdings leben sie südlich der offiziellen Grenzlinie des anerkannten Gebietes der Samen. Und das andere entscheidende Kriterium für die Anmerkung ist die eigene Sprache. „Von daher arbeiten wir intensiv daran, unsere eigene Sprache, das Kemisamisch, wiederzufinden.“ Das geschehe zum Beispiel anhand von Liedern, Wörterlisten, religiösen Texten, Inschriften und alten Ortsnamen. „Wir haben auch Unterstützung von Sprachforscher*innen. Das passiert im Moment noch alles ehrenamtlich. Wir hoffen aber, in Zukunft auch finanzielle Unterstützung für unsere Forschungsarbeit zu bekommen.“ Samuli ist optmistisch: „Spätestens in zehn Jahren wird es Sprachkurse für Kemisamisch geben.“
Als nicht anerkannte Sámi oder Nicht-Status-Sámi" sind die Wald-Sámi auch nicht im Wählerverzeichnis für das samische Parlament Finnlands eingetragen, das heißt sie dürfen nicht wählen und können sich auch nicht aufstellen lassen. Somit werden die Interessen dieses Volkes nicht auf politischer Ebene vertreten. Samuli hat großes Interesse, im samischen Parlament für die Rechte der Wald-Sami zu kämpfen. Da dies derzeit aber nicht möglich ist, engagiert er sich im „Verein der indigenen Sámi Finnlands, eine Organisation der ehemaligen Lapplanddörfer Kemi, die das indigene Volk der Waldsámi vertritt.“ „Wir fordern politische Vertretung und Anerkennung als indigene Gruppe. Wir fordern finanzielle Unterstützung für die Arbeit für unsere Sprache und Kultur. Im Moment werden wir als “fake sámi” bezeichnet und es wird geleugnet, dass wir als Volksgruppe überhaupt existieren“, so Samuli.
Kemi Sámi bedeutet so viel wie: Die Menschen des Waldes leben hier jetzt und immer noch. Samuli wünscht sich, dass alle samischen Völker in Zukunft besser zusammenarbeiten. „Wir könnten so viel für uns, für unsere Kultur und unsere Rechte erreichen, wenn wir alle Sámi-Gruppen zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten.“