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Ein Stück Frankreich in Hossa

Wenn man in der finnischen Einsamkeit zwischen Wäldern und Seen plötzlich an einen Ort kommt, an dem nur noch Französisch gesprochen wird, wird man neugierig. Marlène Pioteryry ist sofort zu einem Gespräch bereit. Die 36-jährige Französin zog es nach ihrem Studium vor, die Welt zu entdecken, statt in französischen Klassenzimmern zu unterrichten. Sie unternahm ausgedehnte Fahrradtouren durch ganz Europa, vom Nordkap nach Gibraltar und von Finnland nach Griechenland mit einem Stopp in der Ukraine. „Zwischen meinen Reisen habe ich eine Wintersaison hier in Hossa in der finnischen Region Kainuu gearbeitet, um Geld zu verdienen. Da war mir schon klar, dass ich zurückkommen wollte. Dieser Ort hat mein Herz erobert.“

 

Der Betrieb in Hossa gehört einem französischen Unternehmen, das weltweit Outdoor-Reisen anbietet. Alles begann vor etwa 15 Jahren, als ein Franzose erstmals Husky-Schlittentouren für französische Touristen in Hossa anbot. Heute gehören zum Unternehmen ein Hotelbetrieb, ein Restaurant, eine Husky-Farm und eine Reiseagentur, die vor allem Wochenprogramme für den finnischen Winter anbietet.

 

Marlène war auf der Suche nach einem Job, der ihren Werten entspricht. Das französische Unternehmen suchte eine Hotelmanagerin für einen Standort in Kanada. „Das habe ich mehrere Winter lang gemacht. Dann wurde ich gefragt, ob ich Hossa managen wollte.“ So ist Marlène wieder an ihrem Herzensort zurück, mit „großer Verantwortung“, wie sie selbst sagt. Denn jetzt gehören auch das Restaurant, die Husky-Farm, die Reiseagentur sowie das Equipment von Snowmobil bis Kanu dazu.

 

„Wir sind hier ein Team von 30 Mitarbeitenden im Winter und 15 im Sommer“, sagt die Chefin. „Und wir müssen hier alle zusammenhalten, sonst funktioniert das in der Einsamkeit nicht. Die Gäste sehen, dass wir zusammenarbeiten, gemeinsam essen und nach Feierabend vielleicht auch noch zusammen trinken und lachen – selbst bei minus 40 Grad.“ Marlène ist überzeugt, dass auch die Touristen hier fürs Leben lernen und etwas von diesen Erfahrungen mit nach Hause in ihren Alltag nehmen. Sie berichtet von ehemaligen Gästen, die heute als Mitarbeitende hier arbeiten und leben – zumindest vorübergehend.

 

Marlène sieht ihre Aufgabe in Hossa darin, den Betrieb so zu organisieren, dass er bei gleichbleibender Qualität auch ohne Manager oder Managerin läuft. Es gibt immer wieder neue Mitarbeitende, von denen viele nur für eine Saison bleiben. „Die Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass Wissen und Erfahrung weitergegeben werden, damit neue Mitarbeitende nicht immer wieder die gleichen Fehler machen müssen.“ Marlène verbringt viel Zeit damit, Handbücher und Anweisungen zu schreiben sowie Arbeitsabläufe zu dokumentieren. „Wir arbeiten ständig an Verbesserungen für unsere Mitarbeitenden und für unsere Gäste.“ Ein besonderes Augenmerk legt sie auf die Sicherheitsvorschriften in allen Arbeitsbereichen. „Wir leben so weit weg von ärztlicher Versorgung, dass das elementar ist.“

 

Personal, zu finden,  ist in dieser Gegend eine große Herausforderung. Es gibt kaum Menschen aus der Region, die hier arbeiten möchten. „Ich versuche, die Arbeitsplätze so attraktiv zu gestalten, dass Menschen bereit sind, auch nur für fünf Monate zu kommen.“ In diesem Sommer arbeiten zwei junge Finninnen, die Französisch sprechen, in dem Betrieb. „Das freut mich sehr, aber der Großteil unserer Mitarbeitenden kommt aus Frankreich.“ Wer hier arbeiten will, muss vor allem wissen, dass es außer unendlicher Natur nicht viele Freizeitmöglichkeiten gibt und die Kolleg*innen oft die einzigen sozialen Kontakte vor Ort sind.

 

Marlène ist von der Magie dieses Ortes direkt am See begeistert. Die ältesten Felszeichnungen Nordfinnlands in Hossa zeugen davon, dass dieser Ort schon lange eine große Anziehungskraft besitzt. Das Restaurant und das Hauptgebäude befinden sich in einem 50 Jahre alten Holzhaus mit großer lokaler Geschichte. Es war der Treffpunkt der lokalen Gemeinschaft, als Hossa noch mehr Einwohner hatte. „Vielleicht können wir das für die wenigen Menschen, die in der Umgebung noch leben, wieder werden?“, fragt sie sich. Sie sieht auch noch viel Potenzial für diesen Ort. „Hossa ist nicht nur ein Ort für Outdoor-Aktivitäten im Winter. Wir könnten hier auch Kurse und Seminare anbieten, zum Beispiel zu den Themen Coaching, Yoga oder Naturfotografie.“ Sie arbeitet bereits an Konzepten für diese Ideen.

 

Marlène gibt zu, dass es für sie ein 24/7-Job ist. „Das passt aber auch zu mir. Was ich mache, mache ich zu 100 Prozent. Ich mache das mit Begeisterung und aus Überzeugung. Und wenn ich genug habe, kündige ich, nehme mein Fahrrad und ziehe weiter. Aber die Aufgabe hier ist so groß, da muss ich wohl ein paar Jahre bleiben.“