„Mein Leben habe ich Stalin zu verdanken“, sagt Ilmari Schepel scherzhaft. Sein Vater kam mit dem Holländischen Roten Kreuz im März 1940 zum Ende des Winterkrieges als Chirurg nach Finnland, um verletzte finnische Soldaten zu operieren. „Da lernte er meine Mutter kennen, eine finnische Krankenschwester.“ Die beiden gingen Ende 1940 in die Niederlande, gründeten eine Familie und bekamen acht Kinder. Ilmari wuchs in den Niederlanden auf. Zwar besuchte er als Kind gelegentlich die Heimat seiner Mutter, hatte aber sonst wenig Berührung mit dem Land und lernte dessen Sprache auch nicht. „Mit 20 Jahren ging ich nach Finnland und schnell war mir klar, dass dies mein Land ist, in dem ich leben möchte. Allerdings durfte man damals nur in Finnland bleiben, wenn man Arbeit hatte. Und die gab es zu der Zeit nur in der Landwirtschaft. Also arbeitete ich auf einem Bauernhof.“ Ilmari lernte schnell Finnisch und studierte später Landwirtschaft in Helsinki. Er pachtete und bewirtschaftete einige Jahre lang einen großen landwirtschaftlichen Betrieb in Finnland. Später wurde er landwirtschaftlicher Berater, zunächst für finnische und dann für russische Betriebe. „15 Jahre habe ich in Russland gearbeitet. Meine Aufgabe war es, bei der Umwandlung von staatlichen landwirtschaftlichen Betrieben in Privatunternehmen zu beraten.“ Außerdem führte er den großflächigen Anbau von Erdbeeren ein. „Erdbeeren wurden in Russland bis dahin nur gelegentlich in privaten Gärten für den Eigenbedarf angebaut.“ Um den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten effizienter zu machen, wurde finnische Technik, die sich in der Praxis schon bewährt hat, in Russland eingeführt.
Ilmari kommt ins Schwärmen: „Ich war viel in Karelien unterwegs, das Gebiet östlich der finnisch-russischen Grenze, und im Nordosten von St. Petersburg. Es ist ein sehr interessantes Land mit klugen Menschen, aber leider sind die Falschen an der Macht. Ich mochte das Land, die Leute und die Kultur. Was da passiert, ist wirklich traurig.“ Er geht davon aus, dass viele in Russland die Nase voll haben, sich aber aus Angst nicht mehr trauen, den Mund aufzumachen. Einige Jahre lang bewirtschaftete er neben seiner Beratertätigkeit selbst einen großen Betrieb mit vielen Angestellten in Russland.
Ilmari ist überzeugt, dass seine Arbeit in Russland nicht umsonst war. Er hört nicht mehr viel von den Menschen, mit denen er zusammengearbeitet hat. Gelegentlich liest er jedoch einen Beitrag seiner Freunde auf dem russischen Äquivalent zu Facebook. „Deshalb weiß ich, dass manches weitergeht.“ Ilmari beendete seine Arbeit in und für Russland bereits 2012, also lange vor dem Krieg. „Es war mir einfach zu stressig und die Fahrerei mit 45.000 km im Jahr zu viel. Der Verkehr in Russland ist gefährlich, es kommt häufig zu tödlichen Unfällen. “
Er hörte von einem freien Haus und Grundstück in Vuokki im Norden Finnlands und fand hier seine neue Heimat. In seinen letzten Berufsjahren arbeitete er in einer landwirtschaftlichen Behörde. Er unterstützte Landwirte dabei, EU-Subventionen zu beantragen, und beurteilte als Gutachter Schäden an Rentieren. Er musste feststellen, ob die Rentiere von Wölfen, Luchs oder Bären gerissen wurden. Nur wenn dies nachgewiesen werden konnte, hatten die Landwirte Anspruch auf Entschädigung.
Im Ruhestand hat er gemeinsam mit seiner Frau eine Erdbeerplantage aufgebaut. „Hier in der Nähe des Polarkreises wachsen wunderbare Erdbeeren. Sie werden zwar erst im Juli reif, haben durch die langen Sonnentage aber ein intensives Aroma.“ Die Erdbeerfelder hat er inzwischen abgegeben. „Jetzt bin ich 74 Jahre alt und habe genug gearbeitet. Außerdem engagiere ich mich im Verein der Grenzkirche in Vuokki. Das mache ich, solange ich kann.“
