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Zwischen Sumpf, Stacheldraht und Spionage

 

Die Außengrenzen Estlands setzen sich aus den Landgrenzen zu Russland und Lettland sowie der mehrere Tausend Kilometer langen Küstenlinie zur Ostsee zusammen. Der estnische Grenzschutz konzentriert sich jedoch auf die 338 Kilometer lange russisch-estnische Grenze. In Estland werden die Aufgaben des Grenzschutzes und der Polizei von einer Behörde wahrgenommen. Der offizielle Name lautet Politsei- ja Piirivalveamet, also Polizei- und Grenzschutzamt. Ein Besuch bei den Mitarbeitern des Grenzschutzes in Saatse im Südosten Estlands. 

 

„Unsere Aufgabe ist es, hier im Süden etwa 60 Kilometer Landgrenze und 20 Kilometer Grenze, die sich durch den Peipussee zieht, zu überwachen”, so ein leitender Mitarbeiter der Grenzschutzstation, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Wir müssen wissen, was in unserem Grenzgebiet passiert. Dazu beobachten wir einen Streifen bis zu fünf Kilometer landeinwärts.“ Große Teile der russisch-estnischen Grenze ziehen sich durch Sumpfgebiete und entlang von Flüssen durch schwer zugängliches Gebiet.  Ziel des aktuellen Grenzausbaus ist es, die Grenze besser zu überwachen und zugänglicher zu machen.  Im Moment werden kilometerlange, etwa drei Meter hohe Metallzäune, die mit Nato-Stacheldraht verstärkt sind, errichtet. Sie verlaufen etwa zehn Meter von der eigentlichen russischen Grenze entfernt. Auf dem Gebiet hinter dem Zaun sind die hohen Bäume gefällt. Vor dem Zaun entstehen neue Patrouillenwege für die Grenzfahrzeuge. Meist sind es geschotterte Straßen. An einer Stelle wurde eine aufwändige Betonkonstruktion errichtet, damit Zaun und Weg nicht im Moor versinken. „Wir waren hier vorher auch schon präsent, aber jetzt ist es für uns leichter, das Grenzgebiet zu erreichen“, so der Grenzschutzbeamte.  Vor dem Ausbau der Grenze sei es oft vorgekommen, dass sich Beeren- oder Pilzsammler aus Versehen auf russisches Staatsgebiet verirrt hätten. „Das ist jetzt nicht mehr möglich.“ Bis 2027 soll dieser Grenzausbau abgeschlossen sein. Wie viele Kilometer Grenzzaun es letztlich sein werden, bleibt geheim. „Der Zaun soll vor irregulärer Migration schützen und uns im Falle von Unregelmäßigkeiten Zeit geben zu reagieren“, erklärt der Mitarbeiter.

 

An den Grenzzaun kommt man nur in Begleitung eines Grenzschutzbeamten. Bereits vor der eigentlichen Grenze weisen Schilder darauf hin, dass dieser Grenzstreifen nicht betreten werden darf. „Es wird ein Bußgeld verhängt, wenn sich hier jemand aufhält.“  Der Grenzschutzbeamte fährt zu einer Holzbrücke über einen Fluss direkt neben der Grenze. „Diese Brücke darf nicht mehr benutzt werden. Einheimische nutzen sie noch gelegentlich, da sie eine Abkürzung ist. Manchmal werden Fremde von ihrem Navigationssystem über die Brücke geleitet. Hier kommt es öfter zu Geldstrafen.“

 

An zwei Stellen ist der Grenzzaun unterbrochen und die Landstraße führt offiziell durch russisches Staatsgebiet: einmal nur 30 Meter und einmal einen Kilometer. Bereits vorher stehen Schilder, die darauf hinweisen, dass man auf keinen Fall anhalten, das Auto verlassen oder zu Fuß gehen darf. „Auch hier sind wir verstärkt unterwegs, damit es zu keiner Provokation kommt.“ Der Grenzbeamte erlaubt deshalb auch keine Fotos in Richtung des russischen Grenzpfahls und des russischen Staatsgebiets. Auffallend ist allerdings, dass man bei den russischen Grenzpfählen aus Beton die ursprünglichen Farben Rot und Grün kaum mehr erkennt.  Die estnischen Grenzpfähle sind aus Kunststoff und schwarz-weiß gestreift.

 

Der estnische Staat plant, die Straßenführung in diesem Abschnitt so zu verlegen, dass die estnische Landstraße nicht mehr durch russisches Staatsgebiet führt und die Lücken im Zaun geschlossen werden können. „Der kurze Abschnitt könnte schon 2027 fertig sein. Der längere Abschnitt verzögert sich wegen Umweltschutzprüfungen noch etwas.“ Der Grenzschutzbeamte erklärt, dass er die 30 Meter lange Straße auf russischem Gebiet nutzt, aber nicht den einen Kilometer langen Abschnitt durch den Saatsestiefel. Mit mir wählt er den Weg um den kompletten Stiefel am Zaun entlang auf dem Patrouillenweg.

 

Er weist auf einen spektakulären Fall aus dem Jahr 2014 hin: Ein estnischer Beamter des Verfassungsschutzes wurde bei seiner Arbeit an der Grenze vom russischen Geheimdienst in eine Falle gelockt. Er wurde in den Wald in Richtung Russland verschleppt und wegen Spionage zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt. Durch einen Agentenaustausch kam er einen Monat später wieder frei.

 

Die Arbeit des Grenzschutzes genießt in der Bevölkerung hohes Ansehen. „Wir stehen auch in gutem Austausch mit der Bevölkerung. Sie melden uns Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten im Grenzgebiet. Auf der anderen Seite übernehmen wir auch gelegentlich polizeiliche Aufgaben. Wir sind schneller vor Ort, denn die nächste Polizeistation ist weit entfernt.“

 

Zu seinen täglichen Aufgaben gehört es, die russischen Nachrichten zu verfolgen und zu beurteilen, ob sie die Arbeit an der Grenze beeinflussen könnten. „Im Moment mache ich mir wenig Sorgen. Es ist ruhig hier. Aber niemand weiß, was in zwei oder drei Jahren hier ist.“