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Sanfter Tourismus für Lettgallen

Lettgallen, eine der vier historischen Regionen Lettlands, blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Ursprünglich von ostbaltischen Stämmen besiedelt, wurde die Region im 13. Jahrhundert vom Deutschen Orden und seinen Vorläufern erobert. Es folgten Jahrhunderte unter polnischer, litauischer und russischer Herrschaft. Heute liegt die Region direkt an der Grenze zu Russland und Belarus. Sie kämpft mit wirtschaftlichen Herausforderungen wie hoher Arbeitslosigkeit und wenig Industrie.

 

Līga Kondrāte aus Ludza blickt trotzdem optimistisch in die Zukunft: „Die einzige Chance, die wir haben, ist der Tourismus.“ Damit meint sie jedoch keinen Massentourismus. Ihre Zielgruppe sind Familien und kleine Gruppen, die Stille, Natur und Kultur suchen. Obwohl Ludza nur 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, hat Lettgallen nie auf russische Tourist*innen gesetzt. „Solange die Grenzen offen waren, nutzten sie die Region für einen Zwischenstopp ein, aber unsere Kultur und unsere vielfältigen Angebote interessierten sie kaum.“ Die Hotels allerdings mussten einen Rückgang von 30 Prozent verkraften.  

Um Lettgallen bekannter zu machen, wirbt die 59-Jährige regelmäßig auf Tourismusmessen in ganz Europa. „Wir haben keine Großstädte, aber eine schöne Landschaft, ursprüngliche Dörfer und vielfältige Traditionen. Das Besondere ist, dass alles authentisch ist, weil die Menschen ihre Kultur immer gepflegt haben und sie Teil ihrer Identität ist.“

 

Līga setzt auf das Konzept des Sanfter Tourismus oder Slow Tourismus. Dabei geht es darum, den Moment zu genießen, statt von einer Attraktion zur nächsten zu hetzen. „So kann man in die lokale Kultur eintauchen und mit den Menschen in Kontakt kommen.“

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Stärkung der lokalen Wirtschaft. „Wir haben mittlerweile viele kleine Familienbetriebe in unserem Netzwerk, die lokale Produkte anbieten“, freut sich Līga. Dazu gehören zum Beispiel landwirtschaftliche Betriebe, die eigenes Gemüse vermarkten, sowie Bäckereien, Käsemanufakturen, Töpfereien und Webereien. Līga und ihr Team unterstützen diese Betriebe, indem sie Absatzmöglichkeiten schaffen. Restaurants kaufen direkt bei den Bauern ein, und Kunsthandwerker*innen schließen sich zusammen, um ihre Arbeiten gemeinsam anzubieten. „Wir brauchen diese lokale Ökonomie, damit hier in Ludza und Lettgallen die Lichter nicht ausgehen.”

 

Līga hat eine klare Vision für die Zukunft: „Ich wünsche mir, dass sich Lettgallen zu einer europäischen Region für biologische Landwirtschaft entwickelt. Das würde auch gut zu unserem Tourismuskonzept passen.“ Sie sprudelt vor Ideen, darunter Seminare und Workshops in kleinen Gasthäusern für Yoga, Fotografie oder Malerei. „Ja, in meinem Kopf habe ich alles. Mir ist bewusst, dass es kein einfacher und schneller Weg ist, aber es ist der richtige.“ Auch die Politik habe dies verstanden. „Wir sind im Moment dabei, Projekte zu entwickeln, um diesen Weg fortzusetzen.“

 

Während der Pandemie wurde die Region von Einheimischen entdeckt. „An diese Erfahrungen knüpfen wir an und versuchen, unsere Region für europäische Gäste attraktiver zu machen“, sagt Līga. Ein jährlich erscheinender Kalender listet besondere Veranstaltungen auf, die sowohl für Einheimische als auch für Gäste interessant sind. Dazu gehören Gartentage, an denen Menschen ihre Gärten öffnen, Festivals in alten Gutshäusern, Burgfeste, Volksfeste, Konzerte mit traditionellem Tanz und geführte Wanderungen.

 

Auch der Fahrradtourismus entwickelt sich langsam. Der Europaradweg 11, auch Osteuropa-Route genannt, führt durch Lettgallen. „Das ist eine große Chance für unsere Region“, meint Līga. Vor Ort wurden bereits mehrere Radtouren ausgearbeitet. Die Herausforderung bestehe jetzt darin, dass alle zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen. Die verschiedenen Produzenten, Handwerker, Anbieter, Restaurants und Unterkünfte müssen zusammengebracht werden, um den Gästen ein umfassendes Angebot zu machen. Eine Herausforderung bleibt: „Wir müssen aber auch immer wieder erklären, dass die Nähe zur russischen Grenze keine Gefahr darstellt, zumindest nicht mehr als in anderen Städten im Baltikum.“