Zeimuls ist lettgallisch und bedeutet „Bleistift“. Zeimuls ist auch der Name des Kreativzentrums für Kinder und Jugendliche in Rēzekne, einer Stadt mit etwa 27000 Einwohnern im Osten Lettlands in Lettgallien. Direkt gegenüber den mittelalterlichen Überresten einer Burg des Livländischen Ordens steht ein futuristisches Gebäude, in dem Kinder und Jugendliche ab vier Jahren ihre Talente entdecken können. Schulleiterin Līga Springa erklärt, dass hier etwa 1600 Kinder in 80 verschiedenen Kursen und Programmen ihre Talente entdecken können. Das Angebot reicht von Musik, Tanz und Folklore über Holzarbeit, Keramik und Malerei bis hin zu Robotik, Fotografie, Arbeiten mit Textilien und Nahrungszubereitung. „Zusätzlich arbeiten wir an internationalen Projekten und nehmen regelmäßig Freiwillige aus verschiedenen Ländern auf. Derzeit sind zwei junge Frauen aus Aserbaidschan bei Zeimuls.“
Schon von außen steht das Gebäude für Kreativität. Es hat schräge, begrünte Dachflächen und Türme, die zwei mit weißen Mustern verzierten Bleistiften ähneln. Das Zeimuls ist eine städtische Einrichtung, die 2012 eröffnet wurde. „Damals gab es große finanzielle Unterstützung von der Europäischen Union, um diese ambitionierten Pläne zu realisieren“, so Līga.
Aleksander Vasilovs arbeitet als Schachlehrer im Zeimuls. Er ist einer von etwa 30 Lehrkräften, die ihr Wissen und ihre Leidenschaft an die nächste Generation weitergeben. Aleksander unterstreicht, wie wichtig es ist, dass Kinder ihre Talente entdecken können. „Das können sie hier ganz frei und ohne Druck. Es gibt keine Bewertung und es geht nicht um Ergebnisse.“ Das Wichtigste sei, dass die Kinder Spaß haben und sich ausprobieren können. Wer seine Leidenschaft gefunden hat, kann danach entweder zur Musik-, Kunst- oder Sportschule in der Stadt gehen. Alle bieten nachmittags nach dem Schulunterricht unterschiedliche Möglichkeiten, die Freizeit zu verbringen.
Für Līga ist das Kreativzentrum auch ein Ort der Demokratiebildung. „Kinder lernen hier sehr früh, sich zu engagieren, ihre Arbeiten zu präsentieren oder auf einer Bühne zu stehen. Hier erfahren sie, dass Dinge, die sie mit Leidenschaft machen, ihr Selbstbewusstsein stärken.“ Rēzekne soll eine Stadt sein, in der Kinder und Jugendliche Perspektiven haben. Dafür fördert die Stadt nicht nur die Talente von Kindern und Jugendlichen, sondern schafft auch Räume für Mitbestimmung. In einem Jugendparlament können sich Jugendliche beispielsweise für ihre Interessen einsetzen.
Ob das Zeimuls auch einen Beitrag dazu leisten kann, die Abwanderung junger Menschen aus Rēzekne zu stoppen, vermag die 31-Jährige nicht zu sagen. Sie ist nach mehreren Erasmus-Programmen immer wieder in ihre Heimatstadt zurückgekommen. „Aber viele bleiben in der Hauptstadt Riga oder leben im Ausland.“
Rēzekne hat sich beworben, „Lettische Hauptstadt der Jugend 2026” zu werden. „Wir sind unter den Finalisten“, sagt Līga stolz. Ende August wird die Siegerkommune in Liepāja bekannt gegeben. Die Leiterin mit einem Master in Jugendarbeit ist überzeugt, dass die erfolgreiche Arbeit des Zentrums ein wichtiger Baustein bei dieser Bewerbung ist.
„Wir leben hier Integration“, erklärt die 31-Jährige. „Das Kreativzentrum ist für alle Kinder offen, unabhängig von ihrem ethnischen oder sozialen Hintergrund.“ Die Unterrichtssprache ist in der Regel Lettisch. „Wir versuchen auch Kinder aus der Ukraine, die noch nicht so gut lettisch sprechen, zu integrieren. „In einer zweisprachingen Umgebung kann jedes Kind die Sprache sprechen, in der es sich wohler fühlt.“ So könne man auch mehr ukrainische Kinder, die vielleicht noch nicht so gut Lettisch sprechen, für die Kurse gewinnen.
Das Kreativzentrum muss sich laut Līga auch immer weiter entwickeln. „Eigentlich sind wir für alle Menschen offen, aber trotzdem gibt es immer noch Menschen in der Stadt, die uns nicht kennen oder nicht so genau wissen, was wir machen. Deshalb präsentieren wir uns häufiger auf Stadtfesten und anderen öffentlichen Veranstaltungen.“
Līga findet es eigentlich gut, dass das Angebot für die Kinder kostenfrei ist. Allerdings stellt sie auch immer wieder fest, dass Kinder und Eltern die Angebote nicht ernst nehmen. Eigentlich laufen die Kurse jeweils ein Schuljahr. „Wenn ein Kind wechseln möchte, versuchen wir natürlich die Wünsche zu erfüllen. Aber es kommt immer wieder vor, dass Kinder dann gar nicht mehr oder nur unregelmäßig kommen.“ Es gehört zum Konzept, dass alles kostenfrei ist. „Dafür bekommen wir auch Gelder vom lettischen Staat.“
Kunst und Kultur ist in der lettischen Gesellschaft tief verankert. Traditionelle Musik und Tanz werden von Generation zu Generation weitergegeben und weiterentwickelt. Sie steht nicht nur der Unterhaltung, sondern sind auch Teil der lettischen Identität. Nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft dient die Kultur auch der Bewahrung von Sprache, Geschichte und Tradition. „Von daher ist das Interesse an unseren Angeboten auch sehr groß“, so Līga. „Im Moment kann ich mir keine bessere Arbeit vorstellen. Ich wache jeden Morgen auf und freue mich für das Zeimuls zu arbeiten.“