Puńsk ist eine Kleinstadt in Polen etwa fünf Kilometer von der litauisch-polnischen Grenze entfernt. 80 Prozent der 4000 Einwohner sind Litauer, deren Familien seit Jahrhunderten hier leben. Puńsk gehörte historisch zum Großfürstentum Litauen und war später Teil der Polnisch-Litauischen Union. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Polen und Litauen ihre Unabhängigkeit erlangten, wurden die Grenzen zwischen beiden Staaten festgelegt. Seitdem gehört Puńsk zu Polen.
Witold Liszkowski ist seit 27 Jahren Bürgermeister der Gemeinde und damit auch ein Brückenbauer zwischen Polen und Litauen. Er bezeichnet sich als Litauer und Europäer, der in Polen lebt. Studiert hat er in Vilnius und Warschau und kennt somit beide Kulturen.
Es ist nicht leicht, eine kleine Kommune in einer ländlichen Gegend in einer Grenzregion zu erhalten. „Wir machen alles, dass unsere Kommune eine Zukunft hat, der Bevölkerungsrückgang gestoppt wird und wir nicht von der Landkarte verschwinden“, so der Bürgermeister. Dafür sei es vor allem auch wichtig, dass die litauische Bevölkerung hierbleibt bzw. junge Menschen nach Ausbildung und Studium zurückkommen. Anna Kluczyńska, Mitarbeiterin in der Stadtverwaltung, erklärt, dass der polnische Staat der litauischen Minderheit Rechte zugesichert hat. Dazu gehört zum Beispiel, dass es litauische Schulen in Polen gibt und dass in den öffentlichen Institutionen auch litauisch gesprochen werden darf. „Alle Dokumente werden zwar auf Polnisch erstellt, aber in der Verwaltung reden wir untereinander litauisch. Das ist natürlicher, da es unsere Muttersprache ist.“
Die Stadt sei, so der Bürgermeister, ganz gut aufgestellt. „Der Bevölkerungsrückgang ist im Vergleich zu anderen Grenzregionen gering. Wir haben aber in den letzten Jahren auch viel investiert, zum Beispiel in Schulen, Straßen, Gesundheitsversorgung und in unsere regionalen Museen“, so der Bürgermeister. „Allerdings sind wir sehr auf finanzielle Unterstützung durch die Europäische Union angewiesen.“ Ein großes Ziel bleibt weiterhin, die Gesundheitsversorgung grenzüberschreitend zu organisieren.
Puńsk ist Teil der 1997 gegründeten Euroregion Nemunas (Memel). Sie umfasste ursprünglich Grenzgebiete in Polen, Litauen, Belarus und ab 2002 auch aus der russischen Oblast Kaliningrad. Gintaras Skamaročius aus dem litauischen Marijampolė war von Anfang an dabei und zeitweise Direktor der Euroregion. Er initiierte ein bedeutendes Projekt, das von 2003 bis 2009 mit Partnern umgesetzt wurde: die Wiederherstellung des Straßennetzes im litauisch-polnischen Grenzgebiet, wie es vor 1948 existierte. Dieses Projekt bereitete die Region auf den freien Personenverkehr im Schengen-Raum vor. Noch heute trägt er stolz eine Tasche mit den Symbolen der Projektpartner, die den Aufbruch in eine neue Ära symbolisieren sollten.
Der Fluss Nemunas (Memel) verbindet die vier beteiligten Länder nicht nur geografisch und historisch, sondern gab der Euroregion auch ihren Namen. Die Euroregion verfolgt das Ziel, durch friedliche Kooperation und gegenseitigen Respekt die Lebensbedingungen und die Lebensqualität der Menschen in dieser Region zu steigern.
Seit der Invasion Russlands in die Ukraine ist die Euroregion Nemunas quasi nicht mehr existent. Polen und Litauen haben jegliche Kooperation mit Belarus und Russland gestoppt. Gintaras Skamaročius setzte große Hoffnung in diese Vierländer-Kooperation. Es gab von Anfang an, viele Meinungsverschiedenheiten und Ansichten, erinnert sich Gintaras. „Ich habe oft versucht, zu moderieren. Aber wenn es um die Diskussion geht, was ist besser Russland oder die EU, ist es schwer, einen Kompromiss zu finden.“ Oft hätten die beteiligten Partner nur daran gedacht, wie sie Geld von der EU für verschiedene Projekte bekommen können. „Mein Fokus lag immer darauf, wie wir Menschen aus den beteiligten Grenzregionen zusammenbringen.“ Gintaras beklagt, dass man in der Euroregion viel mehr für die Menschen hätte erreichen können, wenn die Städte und Kommunen aufgrund begrenzter Projektmittel weniger gegeneinander und mehr zusammengearbeitet hätten. Noch heute ist er stolz, dass 2005, 2012 und 2018 drei Projekte in der Euroregion Nemunas als Beispiele für hervorragende grenzüberschreitende Kooperation bewertet wurden. Ein Tiefschlag für die Euroregion war 2018, als Gintaras von Russland und Belarus als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ eingestuft wurde. Er bekam ein Einreiseverbot nach Russland und Belarus für fünf Jahre.
Trotzdem konnte das Büro der Euroregion in Marijampole unter Gintaras Leitung noch ein großes Projekt zur Förderung des Kulturtourismus in der Grenzregion zwischen Litauen und Kaliningrad anschieben und umsetzten. Dafür wurden zwei historische Orte renoviert: Ein ehemaliges Gutshaus in der litauischen Region Šakiai wurde als Kulturort für Ausstellungen und Veranstaltungen umgebaut. In einem Ort in der Region Kaliningrad wurde das Gedenkmuseum für den litauischen Schriftsteller Kristijonas Donelaitis (1714-1780) renoviert. Parallel wurde eine touristische Route entwickelt, die das kulturelle Erbe der Region Marijampolė und des östlichen Teils der Oblast Kaliningrad verbindet. Diese Verbindungen sind alle gekappt.
Anna Kluczyńska ist Referentin für Programme der Europäischen Union in der Stadtverwaltung. Der Fokus liegt auf der Polnisch-Litauischen Zusammenarbeit. „Gerade wir in Puńsk können hier einen großen Beitrag leisten. Wir sind in der Regel alle zweisprachig und somit gute Brückenbauer.“ Ihr Hauptaugenmerk liegt im Moment auf einer neuen litauisch-polnischen Organisationsstruktur „Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ)“. Das ist kein Förderprogramm, sondern eine rechtliche Struktur für Städte oder Regionen aus verschiedenen EU-Ländern, um gemeinsame Projekte besser zu organisieren.“ Bisher musste jedes Land seinen eigenen Verein gründen. „Jetzt wird die Zusammenarbeit über die Grenze deutlich einfacher“, ist Anna überzeugt. Sie betont, dass es in allen grenzüberschreitenden Projekten auch immer darum gehe, Menschen zusammenzubringen. „Es geht nicht nur um Infrastruktur, sondern genauso um Begegnungen zwischen Menschen aus beiden Ländern.“ Ein Projekt mit dem Titel „Resiliente Grenzen“ hat das Ziel, das sich Menschen über die Grenzen hinweg zusammenschließen und engagieren. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit soll zu einer natürlichen und effektiven Methode werden, um Herausforderungen im gesamten Grenzgebiet zu bewältigen.
Das Gebiet entlang der litauisch-polnischen Grenze, in dem der neue Verbund aktiv ist, wird auch als Suwalki-Lücke oder Suwalki-Korridor bezeichnet, benannt nach der polnischen Stadt Suwalki. Der 65 Kilometer lange Korridor zwischen Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad gilt als strategisch wichtig, da er die einzige Landverbindung zwischen den baltischen Staaten und den anderen NATO-Mitgliedsstaaten darstellt. Für Russland stellt der Korridor eine Möglichkeit dar, eine Landverbindung zwischen Kaliningrad und Belarus herzustellen.
Witold Liszkowski gibt sich bezüglich der militärischen Bedrohung gelassen. „Wir denken an die Zukunft unserer Städte und an die Lebensbedingungen der Menschen, die hier leben.“ Er betont, dass die Bedrohung meist von außen thematisiert werde.